Amerika, du hast es komisch

von Thomas Schuster

NEW YORK, 26. Januar. Dennis Miller ist Komiker und Sportreporter. Ob er auch ein komischer Sportreporter ist, darüber streiten Millionen von Amerikanern. Die blanke Quotennot nämlich treibt die Fernsehchefs zum Äußersten: Journalisten werden durch Bauchredner, Stars durch Dampfplauderer ersetzt. Und nun werden sogar Sportmoderatoren von Spaßmachern verdrängt.

Ganz gleich, auf welchem Kanal in diesen Tagen Athleten zu schweißtreibenden Übungen ansetzen, die Amerikaner schalten erschöpft ab. Viele der großen Sportarten stehen in der Zuschauergunst auf Allzeittief. Nur Golf, die bequemste aller Disziplinen, zieht noch die Massen an. “Tiger” Woods, der untypischste aller Golfer, ist der große Publikumsmagnet. Ansonsten gilt: Die Quoten sinken, gleich, wer am Ball ist. Auch den Klassiker unter den Sportsendungen hat es erwischt: “Monday Night Football” bei ABC, die führende Sportschau der Vereinigten Staaten, steckt im Quotenloch. Die Sehbeteiligung sinkt seit Jahren. Um den strategischen Rückzug der Fans aufzuhalten, haben die Programmchefs aus lauter Verzweiflung einen Amateur aufs Feld geschickt: Dennis Miller, ein bekannter Fernsehmann, aber bekennender Football-Laie, ergänzt seit letztem Sommer das Reporter-Team, das montags die Manöver der Mannschaften kommentiert. Mit seinen Auslassungen macht er Furore.

Miller zählt zu einer Spezies, die einst Komiker hieß und heute unter dem Titel “Comedian” firmiert. Er begann seine Karriere in den achtziger Jahren bei “Saturday Night Live”. Die Comedy-Show ist der Klassiker aller Humorsendungen, Dan Akroyd, Eddie Murphy und Mike Myers gaben hier ihr Debüt. Miller fungierte damals als Moderator, der Nachrichten parodierte. Jetzt soll er im Umkehrschluss als Parodist den Football moderieren. Während auf dem Fußballfeld die Abwehrrecken die flinken Außenläufer meist unsanft zu Fall bringen, wartet der Sport-Komiker mit Kalauern und klugen Sprüchen auf. Er verweist auf die punischen Kriege, zitiert amerikanische Gegenwartslyrik oder unterhält mit einem Exkurs über japanische Suizid-Zeremonien und kosmische Wurmlöcher.

Esoterische Anspielungen sind sein Markenzeichen. Beim Spiel der Buffalo Bills gegen die Indianapolis Colts am 11. Dezember meinte Miller zum damals noch ungewissen Ausgang der Präsidentenwahl: “Im Geiste von Jonathan Swift, lassen Sie mich einen bescheidenen Vorschlag machen: Werft einfach eine Münze. Und Schluss damit.” Miller bezog sich auf jenen klassischen Essay des englischen Satirikers, in welchem dieser vorschlug, Irland solle zur Lösung seines Bevölkerungsproblems die Babys armer Familien den Reichen als Delikatessen verkaufen.

Ob solchen Hintersinns verwirrte Zuschauer finden mittlerweile Unterweisung durch hilfreiche Kommentatoren, die sich der Dekodierung der Sprüche des Kommentators widmen: Die Internet-Ausgabe der Encyclopaedia Britannica liefert am Tag nach der Sendung Erklärungen zu seinen Bemerkungen (www.britannica.com). Unter “Dennis Miller Demystified” können sich Besitzer tragbarer Computer sogar noch während der Übertragung Erklärungen senden lassen (www.dmdmyst.com).

“Dennis bringt uns viel näher an die Fan-Perspektive als jemals zuvor im Fernsehen”, sagt Don Ohlmeyer, der Produzent des Programms. Doch der gemeine Football-Anhänger mag über die Faxen des komischen Kommentators wohl nicht lachen. Wie Chuck Hyde aus Prescott im Bundesstaat Arizona: Er und seine Frau schauen sich die Spiele neuerdings ohne Ton an. Auch Dan Crisp aus Memphis, Tennessee, mag den Nonstop-Nonsens nicht: “Dennis Miller hat mir ,Monday Night Football’ total vermiest”, sagt Crisp. “Er versucht clever zu sein und die Leute zum Denken anzuregen. Doch Football war mir immer schon das beste Mittel, mein Gehirn abzuschalten.” Dabei sind Millers Bonmots gar nicht so unzugänglich, Referenzen jenseits der Popkultur gibt es bei ihm höchst selten. Trotzdem ist er den couch potatoes suspekt. Robert Blanke aus Montgomery, Alabama, freilich erkennt die volkspädagogische Bedeutung der Witzeleien: “Man muß Dennis Miller eines zugute halten”, meint der Footballfan, ” sein ganzer widerlicher pseudo-intellektueller Kommentar zwingt die Leute tatsächlich, einige der Verweise nachzuschlagen.”

Auch die Presse verfolgt das Experiment voller Misstrauen. Einigen ist der Komiker nicht komisch genug. “Miller verbreitet mehr Zahlen als Alan Greenspan”, moniert die “Chicago Sun-Times”. Der Spaßmacher sei weniger provokativ als profan, meint das Blatt. Den Vertretern der Gegenmeinung ist das Spiel zu wichtig, um der Schlacht auf dem Rasen durch Ulk den Ernst zu nehmen.

Die komische Zersetzung der Sportreportage jedoch findet nicht aus Spaß an der Freud’, sondern vor einem ernsthaften wirtschaftlichen Hintergrund statt: Die Basketball-Liga NBA hat seit dem Abgang von Michael Jordan an Glanz verloren. Die World Series, die Endspiele im Baseball, haben die geringste Sehbeteiligung aller Zeiten. Und die Übertragung der Olympischen Spiele von Sydney erreichte die niedrigsten Einschaltquoten seit 1968. Die Werbebranche versteht angesichts solcher Niederlagen des Fernsehsports keinen Spaß: Sie hält sich mit Buchungen zurück und setzt lieber auf “Event-Programme” wie “Survivor” und “Who Wants to be a Millionaire?” Die Standup-Comedy aus dem Kommentatoren-Stand ist also der letzte Versuch, die Sponsoren zu erheitern und – einem direkten Konkurrenten das Publikum abspenstig zu machen: der World Wrestling Federation (WWF), die Montag abends zur selben Zeit wie ABC sendet und eine der Werbeindustrie sehr genehme Form der Sport-Travestie hoffähig macht. Anfang Februar macht diese die Probe aufs Exempel, mit dem Debüt der neuen Football-Liga XFL, einem Joint Venture des Senders NBC und der WWF.

Als Kommentator wird dort Jesse “The Body” Ventura fungieren, der glatzköpfige Gouverneur des Bundesstaats Minnesota, der vor seiner politischen Laufbahn selbst sich als Profiringer für die WWF verdingt hat. Er war dafür bekannt, dass er mit Feder-Boa in den Ring stieg. Seinen Wahlkampf bestritt er unter anderem mit der Forderung, die Prostitution zu legalisieren und einen Rotlichtbezirk nach Amsterdamer Vorbild einzurichten. Da der neuen Liga die Spielerstars noch fehlen, wird der große Tumult am Spielfeldrand inszeniert: Die Moderationen des regierenden Ex-Ringers werden mit sogenannten “Reportagen” über die sexuellen Ausschweifungen der cheerleaders vermischt. Das gebe “eine Menge Spaß”, meint Ventura zu seiner Programminnovation. Vince McMahon, der zwielichtige Präsident der WWF und Gründer der XFL, verspricht, es werde “kontrovers werden, wenn nicht, dann machen wir es kontrovers”.

Der Sport ist in Amerika wie im Rest der Welt also nach wie vor eine ernste Sache. Als Geschäftsfeld wird er immer noch mit größter Akribie beackert, sei es, dass er ins Bezahl-Fernsehen abzuwandern droht, wie bei uns, oder dass er zum gespielten Witz verkommt. Einer Gallup-Umfrage zufolge hielten 78 Prozent der Amerikaner anfangs wenig von Dennis Millers Ausflug in den Sport. Zum Jahresende überwog schon die Zustimmung. Die Quoten freilich sinken weiter. Am morgigen Sonntag findet in Tampa, Florida, der Super Bowl statt, das Football-Großereignis, das noch immer die stabilsten Zuschauerzahlen bringt. In diesem Jahr noch ohne Komiker vom Dienst. In der nächsten Woche dann steigt Jesse Ventura in den Ring. Dann geht der Spaß erst richtig los.

Thomas Schuster, Amerika, du hast es komisch. Kalauer vom Kommentator: Wie im TV zum Sport der Spott kommt. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.9.2001.

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