Schwacher Charakter, volle Börse

von Thomas Schuster

Sascha O., der eigentlich Sascha Opel heißt, sitzt in der Tinte. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat Haftbefehl gegen ihn erlassen wegen eines Delikts, von dem jeder spricht, welches jedoch bis vor kurzem als praktisch nicht justitiabel galt: Insider-Geschäfte von Wirtschaftsjournalisten und ihnen nahestehenden Kreisen. Die gesamte Branche munkelt davon, die Namen potentieller Verdächtiger machen die Runde, auspacken freilich will niemand, vielleicht, weil die illegale Praxis allzu weit verbreitet ist.

Der Fall: Sascha Opel, dem stellvertretenden Chefredakteur der Anlegerzeitschrift “Der Aktionär”, wird zur Last gelegt, er habe Insider-Handel betrieben und gegen das Kreditwesen-Gesetz verstoßen. Gemeinsam mit einem Stuttgarter Finanz-Dienstleister habe er Anlegern bei bestimmten Aktien ungewöhnlich hohe Gewinne versprochen. Der Dreh: Die Titel seien anschließend in dem Börsenmagazin gezielt empfohlen worden, um deren Preise in die Höhe zu treiben. Die Kursgewinne, so der Verdacht, wollten sich die beiden Männer mit den Anlegern 50:50 teilen. Die Beschuldigten, so die Staatsanwaltschaft, hätten die Vorwürfe “im Grunde gestanden”.

Der Geschichte könnte damit ihr unspektakuläres Ende nahen, gäbe es nicht eine graue Eminenz im Hintergrund des Skandals, von der noch nicht sicher ist, ob sie den Ermittlern nicht wieder von der Schippe springt: Bernd F., der eigentlich Bernd Förtsch heißt, in gewissen Kreisen als “Börsen-Guru” gilt, mehrere Investmentfonds berät und gleichzeitig als Chefredakteur und Herausgeber von “Der Aktionär” verantwortlich zeichnet. Einem Bericht der “Bild”-Zeitung zufolge wollte Opel die Aktien auch “durch Einschaltung des Chefredakteurs” gezielt puschen. Bei “nicht nachhaltig” steigenden Kursen hätten Fonds die Wertpapiere übernehmen sollen, um die gewünschte Rendite zu produzieren. Förtschs Rolle in diesem Schema ist bislang jedoch völlig unklar.

Klar ist aber, in welcher Weise der Chefredakteur selbst seine journalistische und verlegerische Tätigkeit mit lukrativen Börsenengagements verband. Sobald Förtsch in Fahrt kommt, hagelt es Börsenrekorde: Vom Finanzzentrum Kulmbach aus, dem Standort seines Verlages, observiert er die internationalen Aktienmärkte, die Hochtechnologie ist sein Parkett. Als öffentliche Plattform dient ihm sein Anleger-Magazin, welches durch besonders schrille Aufmachung und die Vielzahl seiner vermeintlichen “Geheimtipps” auffällt. Gleichzeitig berät und managt er sieben Aktienfonds, darunter drei Fonds der Universal-Investment GmbH, Frankfurt, mit welcher Förtsch seit Jahren zusammenarbeitet. Die Universal-Fonds wiederum werden in “Der Aktionär” ständig mit zahlreichen großformatigen Anzeigen beworben, wobei der Chefredakteur in aller Bescheidenheit darauf hinweist, dass er gleichzeitig als Chef-Fondsberater fungiert.

Das System Förtsch funktioniert folgendermaßen: Der Journalist Förtsch empfiehlt Aktien in seiner Zeitschrift, in zahlreichen Börsenbriefen und Telefonhotlines sowie im Fernsehen, welche der Fondsmanager Förtsch gleichzeitig in dem von ihm verwalteten Wertpapiervermögen umherschiebt. Volumen: weit über zwei Milliarden Mark. Dabei kommt es wiederholt zu äußerst “auffälligen Kursbewegungen” in Verbindung mit seinen Tipps, während die Sequenz von Empfehlungen und Aktienkäufen im Dunkeln bleibt. Der Chefmanager selbst sieht es locker: Mit hundert Aktien in seinen Fonds, so Förtsch lapidar, könne es schon einmal zu Überschneidungen kommen.

Das System Förtsch lebt von seiner medialen Vernetzung und den Zuarbeitern: zum Beispiel von Markus Frick, einem weiteren selbsternannten Börsen-Guru. Frick firmiert mit mehreren eigenen Telefon-Hotlines, welche von Bernd Förtsch betrieben und über den “Aktionär” sowie über den Bildschirmtext des Senders n-tv beworben werden. Der gelernte Bäckermeister Frick empfiehlt in seinen Hotlines Wertpapiere mit dem Hinweis darauf, dass gute Nachrichten bevorstehen beziehungsweise dass diese Titel im “Aktionär” oder im “3satBörsenspiel” empfohlen werden. Fricks Status basiert auf seiner vermuteten Nähe zu Förtsch und dessen Einfluss auf die Privatanleger. Förtsch wiederum wäre nichts ohne das Fernsehen (F.A.Z. vom 24. August). Seine monatelange Präsenz im Börsenspiel der Sendung “3satBörse” war wesentlich für die Etablierung seines Systems. Hier nämlich erst wurde er zum Börsen-Guru aufgebaut. Seit Jahren schon werden Vorwürfe erhoben, die Sendung liefere gewieften Selbstdarstellern eine Plattform zur Manipulation der Investoren. Schon gegen Egbert Prior, einen weiteren 3sat-“Guru”, wurde der Verdacht des illegalen “Frontrunnings” erhoben.

Die “3satBörse” hat sich als Inkubator des teutonischen Zockertums etabliert. Manche Banken werben sogar damit, daß man bei ihnen auf die Tipps der “3satBörse” noch am Wochenende handeln könne. Montags erst setzt das breite Publikum zum run auf die Papiere an. Angetrieben durch die Empfehlungen des Börsenspiels, schießen einzelne Werte in die Höhe. Aktien, die negativ kommentiert werden, können Einbrüche erleben. Medienberichte über die Kursexzesse nach der Sendung geben der Gier neue Nahrung.

Nach einem Förtsch-Tipp stieg die Aktie der Biotech-Firma Morphosys am Montag, dem 21. Februar 2000, zum Beispiel von 229 Euro auf in der Spitze 430 Euro – ein Zuwachs von fast neunzig Prozent und ein durchaus ungewöhnlicher Tagesgewinn. Unmittelbar danach legte die Aktie den Rückwärtsgang ein und fiel um bis zu 75 Prozent. Wer auf die Empfehlung reagierte und nicht sofort wieder verkaufte, bezahlte seine Gutgläubigkeit teuer.

Die Verantwortlichen freilich geben sich naiv. Peter Nemec, der redaktionelle Leiter der “3satBörse”, kann mit der Kritik an seiner Sendung nichts anfangen. “Schockiert” sei er über die gegen Sascha Opel erhobenen Vorwürfe. Auch Opel war, in Vertretung seines Chefs Förtsch, in der Börsen-Gameshow aufgetreten. Nemecs Erklärung für die krummen Touren: Es gebe immer wieder schwache Charaktere, die dem Geld verfielen. Dass sein Sendekonzept solche Leute magisch anziehe, will er nicht gelten lassen. Gleichzeitig jedoch, so Nemec im Gespräch mit dieser Zeitung, sucht er gezielt nach “Charismatikern”, die dem Publikum das Thema Börse mediengerecht präsentieren.

Um Insider-Konflikten vorzubeugen, verpflichten viele angelsächsische Wirtschaftsredaktionen ihre Mitarbeiter dazu, auf den Besitz von Aktien gänzlich zu verzichten. Die meisten deutschen Wirtschaftsjournalisten hingegen können so viele Aktien handeln, wie sie wollen. Wolfgang Gerke, Professor für Bank- und Börsenwesen an der Universität Erlangen-Nürnberg, stellt fest: “Wir sind in Deutschland noch nicht einmal auf halbem Wege zu amerikanischen Verhältnissen, was die ethischen Normen der Wirtschaftsberichterstattung betrifft.” Es gibt kaum ein Bewusstsein dafür, dass das aktive Engagement von Journalisten an den Finanzmärkten zwangsläufig zu ethischen Konflikten führt. Denn, darauf weisen viele Indizien hin: Der Insider-Skandal um Opel, Förtsch und die Zeitschrift “Aktionär” ist erst der Anfang. Zu locker sind die Sitten am Finanzplatz Deutschland, als dass sich “schwache Charaktere” nicht besonders wohl fühlten.

Thomas Schuster, Schwacher Charakter, volle Börse. Insider-Handel: Der erste Finanzjournalist steht vor der Anklage. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2.11.2000.

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