Virtuelle Finanz-Gemeinschaften
von Thomas Schuster
München, 27. Januar – In den USA haben virtuelle Finanz-Gemeinschaften bereits Millionen von Mitgliedern. In Deutschland dürften sie erst am Anfang eines Booms stehen: Immer mehr Anleger klicken sich in spezielle Finanzseiten im Internet ein – in der Hoffnung auf heiße Börsentipps. Doch die sind nicht ohne Tücken.
“Ich begrüße alle mutigen Anleger, Feiglinge bitte ausloggen.” Mit diesen Worten hieß Kurt Ochner kürzlich seine Fans im Internet willkommen. Anlass des Zusammentreffens zwischen dem Fondsmanager und der Online-Gemeinde war ein Live-Gespräch, das eine führende deutsche Finanzseite veranstaltete. Diese Internet-Anbieter verstehen sich als neue Spezies der Finanzkommunikation, als “virtuelle Gemeinschaft”, zu Neudeutsch: als “Finanz-Community”. Die Schöpfer der Online-Welten haben das Geschäft mit der Gruppendynamik entdeckt. Nicht nüchterne Nachrichten, wie in den klassischen Wirtschaftsmedien, stehen im Vordergrund ihrer Webseiten, sondern der aktive Meinungsaustausch zwischen den Besuchern. Systematisch nutzen die Finanz-Communities die elektronischen Möglichkeiten der Interaktivität, um einen Gemeinschaftsgeist unter ihren Mitgliedern zu schaffen.
Am heftigsten pulsiert das Gemeinschaftsleben in den Plauderecken der Finanzseiten, den Diskussionsforen und den Nachrichtenboards. Hier brodelt die Gerüchteküche: Amateure und Profis, falsche und wahre Propheten, Börsen-Genies und Westentaschen-Gurus tauschen die heißesten Tipps aus, stets auf der Jagd nach dem geldwerten Vorteil. Praktisch alle großen deutschen Finanzseiten im Internet bieten ihrem Publikum die Möglichkeit, untereinander zu kommunizieren; meist ist dieser Service sogar zum Kernstück der Internetdienste avanciert. Mit erstaunlichem Erfolg: So verzeichnet Wallstreet-Online, eine der größten deutschen Finanz-Communities, mittlerweile 60 000 registrierte Nutzer, Investorworld hat 40 000 und Instock 15 000 Mitglieder. Dazu kommen viele unregistrierte Zaungäste als sporadische Besucher.
Das Dauer-Geplauder in den elektronischen Gemeinschaftsräumen wird von den Verantwortlichen nach allen Kräften angeheizt: Durch gezielte Erzeugung eines Gemeinschaftsgeistes wird den Surfern das Gefühl gegeben, einem eingeschworenen Verbund anzugehören. Der Nutzer soll sich in seiner virtuellen Familie geborgen fühlen und regelmäßig in ihren Schoß zurückkehren. Alexander Mohri, der Geschäftsführer von Wallstreet-Online, bezeichnet dies als “Stickiness”: Am besten, wenn die Surfer auf seiner Webseite kleben bleiben.
Mehr Mitglieder, mehr Umsatz
Die Logik dahinter ist klar: je größer die Verweildauer der Besucher, desto besser für die Betreiber. Denn jedes neue Mitglied ist ein weiterer Multiplikator, der den Machern zusätzliche Werbeeinnahmen beschert. Je größer die Zahl der Mitglieder, desto größer ist die Zahl der angeklickten Seiten, genau danach berechnet sich die Höhe der Werbeumsätze. John Hagel und Arthur Armstrong, zwei Vordenker der Unternehmensberatung McKinsey, haben dieses Konzept der Kundenloyalität konkretisiert: “Communities ziehen begeistert Leute an, die ihrerseits virtuelle Fan-Klubs in Bezug auf Anbieter und Produkte bilden werden.”
Begeisterungsfähig sind die Anhänger der virtuellen Gemeinschaften in der Tat: High-Tech-Werte, Internetaktien und exotische Nebenwerte haben es ihnen angetan. Von den großen Standardwerten im Dax oder Dow Jones will kaum jemand etwas wissen. So scheint das Risiko ziemlich groß, sich in der Quarantäne der Online-Räume mit einer ganz speziellen Art des Börsenfiebers zu infizieren. Denn praktisch alle Finanz-Communities haben ihre Aufmerksamkeit auf den Neuen Markt und modische High-Tech-Aktien verengt. Der Rest der Börsenwelt wird systematisch ausgeblendet. Jürgen Kurz von der Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) bescheinigt den virtuellen Gemeinschaften deswegen etwas geradezu Sektenhaftes: “Die Leute werden isoliert von der Außenwelt. Der Trend ist da, sich nach außen abzuschotten.” Die damit verbundene systematische Verengung der Wahrnehmung lässt auf eine spezifische psychische Konstitution der virtuellen Konvents schließen: Für die Online-Kommunarden ist die Börse Kult – wie für andere Leute die Harald-Schmidt-Show oder Bungee-Jumping. Wie Junkies fiebern sie nach dem nächsten Börsen-Kick.
Es mag nicht nur an der Naivität mancher Mitglieder liegen, dass sich die Betrugsfälle im Umkreis der virtuellen Gemeinschaften häufen; mehr oder weniger regelmäßig werden sie zur Zielscheibe regelrechter Desinformationskampagnen: Betrügerische Mitglieder erschleichen sich das Vertrauen der Gemeinschaft, um anschließend Falschinformationen in Umlauf zu bringen. Durch solche Manipulationen ist es schon mehrfach gelungen, die Kurse bestimmter Aktien zu beeinflussen.
Bezahltes Interview
Auch einige Betreiber virtueller Gemeinschaften haben bereits Kritik einstecken müssen. So ist es ein offenes Geheimnis, dass die Finanzseite Stockworld die Werbetrommel für verschiedene Unternehmen rührt. Auffällig dabei ist, dass ein Großteil der Unternehmen, die sich dort präsentieren, aus dem Umfeld des Emissionshauses Gold-Zack stammen. Für Kenner des Marktes ist dies allerdings nicht erstaunlich: Gold-Zack ist an der Stock World Medien AG, dem Betreiber der Plattform, mit zehn Prozent beteiligt.
Dass ein solcher Investor-Relations-Service nicht kostenlos ist, wird von Insidern zugegeben. So bietet Wallstreet-Online ein so genanntes “IPO Package” an: Firmen, die gerade an die Börse gehen, können sich damit der Gemeinschaft präsentieren. Dazu wird ein Paket flankierender Maßnahmen angeboten, das aus Live-Interview, der Schaltung von Werbebannern und Anzeigen via E-Mail besteht. Diese Mittel sind auch einzeln buchbar: Ein Live-Interview auf Wallstreet-Online kostet zum Beispiel 5000 DM.
Solche Praktiken sind in der Logik der virtuellen Gemeinschaften angelegt. Auch hierfür haben die McKinsey-Berater Hagel und Armstrong die passende Einsicht parat: “Gastgeber von Plauderforen und Schwarzen Brettern können zu diskreten Verkäufern werden, die Mitglieder auf die Bereiche aufmerksam machen, wo sie das Gesuchte erwerben können.” Die Verantwortlichen begründen solche Verfahrensweisen mit den Zwängen der Internet-Ökonomie: Der Surfer ist nicht der Kunde der Webseite, er nutzt das Angebot gebührenfrei. Die Firmenkunden sind deshalb die tatsächliche Klientel.
Plattform für marktenge Werte
Dieses Abhängigkeitsverhältnis ist wechselseitig: Die Finanzgemeinschaften brauchen die Firmenkunden, aber auch umgekehrt. Jürgen Kurz von der DSW meint dazu: “Es gibt ein Spektrum von Unternehmen, die ohne die kurzfristig orientierten Privatanleger in den virtuellen Gemeinschaften keine Chance an der Börse hätten.” Gerade marktenge Nebenwerte sind darauf angewiesen, sich unter den Börsenfans der Internet-Gemeinden zu positionieren. Die Macher der Finanzseiten liefern ihnen dafür die geeignete Plattform.
So stellt sich die Frage, was bei all dem Gerangel um Einfluss für die Privatanleger herausspringt. Können Sie aus der Online-Kommunikation wirklich einen finanziellen Vorteil ziehen? Alexander Mohri gibt eine lapidare Antwort: “Keine Ahnung”.
Thomas Schuster, Virtuelle Finanz-Gemeinschaften. Die gefährliche Jagd nach heissen Börsen-Tipps. Süddeutsche Zeitung, 28.1.2000.
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